Geflüchtete Verschwörer: Gabriel Fueter, Christian Daniel Fueter und Gottfried Kuhn
Autorin: Amélie Jaggi
Version vom 6. Januar 2025
Einleitung
16. September 1749: Gabriel Fueter, Christian Daniel Fueter und Gottfried Kuhn, deren Aufenthaltsort seit dem 4. Juli 1749 unbekannt ist, werden durch die Berner Obrigkeit hingerichtet. Um die Todesstrafe zu vollstrecken, lässt die Berner Regierung die Bildnisse der drei Flüchtigen köpfen.
Das die zweite Hinrichtung an drei der Verurteilten der sogenannten Henzi-Verschwörung1 nicht im kollektiven Gedächtnis des 21. Jahrhunderts verankert ist, hat unter anderem damit zu, dass von der physischen Hinrichtung an Niklaus Wernier, Samuel Henzi und Emanuel Fueter ein Holzschnitt aus dem Jahr 1749 überliefert worden ist.2 Zusätzlich dazu ist davon auszugehen, dass physische Hinrichtungen eine nachhaltigere Wirkung entfalten können, als symbolische. Nichtsdestotrotz versucht der folgende Beitrag den bisherigen Fokus zu relativieren und die Bedeutung der symbolisch Hingerichteten stärker zu gewichten.
Die folgende Untersuchung ist in vier Teile gegliedert. Im ersten Teil steht die Rolle der drei Geflüchteten im Rahmen der Verschwörung im Vordergrund. Zweitens steht die Flucht aus der gesicherten Stadt Bern im Zentrum der Ausführung. Drittens soll die Frage geklärt werden, wie die Obrigkeit auf die Flucht reagierte und welche Massnahmen ergriffen wurden. Abschliessend geht der vierte Teil auf die Verurteilung und smybolische Hinrichtung von Gabriel Fueter, Christian Daniel Fueter und Gottfried Kuhn ein.
Verschwörung 1749
Welche Rolle Christian Daniel Fueter (1720-1785), Gabriel Fueter (1714-1785) und Gottfried Kuhn (1709-?) im Rahmen der Verschwörung einnahmen, kann nicht abschliessend geklärt werden, da die genauen Abläufe und Motive der Hauptakteure der Henzi-Verschwörung nicht vollständig überliefert sind. Johann Jakob Bäbler (1836-1900) kommt in seiner Monographie Samuel Henzi’s Leben und Schriften aus dem Jahr 1879 zum Schluss, dass nicht Emanuel Fueter, Niklaus Wernier und Samuel Henzi, sondern der Rotgerber Gottfried Kuhn, der Goldschmid Christian Daniel Fueter und der Handelsmann Gabriel Fueter die eigentlichen Urheber der Verschwörung waren. Zur Rolle von Gabriel Fueter zitiert Bäbler Christoph Meiners (1747-1810) wie folgt: «Letzeren kann man mit Recht als Haupt der ganzen Verschwörung nennen, weil er seinen Bruder, den hingerichteten Lieutenant Fueter, den Henzi und die meisten übrigen angeworben hatte.»3 Auch wenn Emanuel Fueter nicht der Bruder von Gabriel Fueter war, verdeutlicht das Zitat die Präsenz von Gabriel Fueter im kollektiven Gedächtnis des späten 18. Jahrhunderts.4
Die wichtigste Quelle, um die Rolle der Geflüchteten im Rahmen der Verschwörung zu rekonstruieren ist das Turmbuch von 1749, in welchem die Berner Obrigkeit die Verhöre mit den Haupt- und Mitverdächtigen ab dem 4. Juli 1749 protokollierte.5 Daniel Fueter wurde am 11. Juli von der Berner Obrigkeit zu den Korrespondenzen seines Bruders Gabriel mit Personen ausserhalb der Stadt Bern, zu seiner eigenen Mitschuld sowie zu Gesprächen mit Emanuel Fueter und Johann Friedrich Küpfer befragt. Daniel Fueter bestritt, Teil der Verschwörung gewesen zu sein.6 Inwiefern er tatsächlich nichts wusste, ist schwer abzuschätzen.7
Niklaus Wernier sagte in einem Verhör unter Folter aus, dass Christian Daniel Fueter und Gottfried Kuhn besonders brutale Pläne verfolgten, da diese angeblich den ganzen Rat köpfen sowie deren Häuser niederbrennen wollten. Gabriel Fueter und Samuel Henzi sollen davon gesprochen haben, die Bibliothek in die Luft zu sprengen, wenn sich die Obrigkeit darin befinde. Die Verhöre bestätigen die Beobachtung von Christoph Meiners, dass Gabriel Fueter einer der führenden Köpfe der Verschwörung war, weil er Samuel Henzi und später Emanuel Fueter für die Sache anwerben konnte. Auch Johann Friedrich Küpfer sagte aus, dass er durch Gabriel Fueter angeworben wurde. Gottfried Kuhn und Christian Daniel Fueter waren nebst Gabriel Fueter wichtig für die Rekrutierung neuer Mitverschwörer. Zudem waren die Schriften von Samuel Henzi im Haus von Gabriel Fueter versteckt, was auf die Führungsposition von Gabriel Fueter hinweisen könnte.8
Flucht
Wie die drei Hauptverdächtigen Gabriel Fueter, Christian Daniel Fueter und Gottfried Kuhn aus der Stadt Bern flüchten konnten und warum sie nicht wie Niklaus Wernier, Emanuel Fueter und Samuel Henzi festgenommen wurden, ist bis heute ungeklärt. Bei allen drei Geflüchteten kann aufgrund der Geburtsdaten und Geburtsorte ihrer Kinder abgeleitet werden, wann sich ihre Familie wo befand. Die Frau von Gabriel Fueter, Magdalena geb. Gerwer, gebar am 16. August 1749 ihr fünftes Kind in Bern, was darauf schliessen lässt, dass die Familie die Stadt erst einige Wochen oder Monate nach Gabriel Fueter verliess. Das sechste Kind von Gabriel Fueter wurde 1752 in Altona geboren.9
Drei Tage nach der Verhaftung von Henzi, am 7. Juli 1749, wurde die Tochter von Gottfried Kuhn geboren.10 Wie der Beitrag von Sara Schödler zeigt, war Gottfried Kuhn nach seiner Flucht ein Angestellter von Johann Friedrich Küpfer in Lörrach. Kuhn stand 1756 im Verdacht, sich an der geplanten zweiten Verschwörung im Exil beteiligt zu haben.
Zufall oder nicht, auch Christian Daniel Fueter wurde kurz nach seiner Flucht, am 1. Oktober 1749, Vater. Das fünfte Kind der Familie, Christian Fueter, wurde am 16. Juni 1752 in London geboren. Die Familie lebte im Jahr 1754 in New York, später in Pennsylvania, in England und in Frankreich und kehrte 1769 nach Bern zurück.11
Reaktion und Massnahmen
Die Berner Regierung diskutierte erstmals am 17. Juli 1749, also am Tag der Hinrichtung von Samuel Henzi, Niklaus Wernier und Emanuel Fueter, wie mit den Geflüchteten umzugehen sei.12 Die wichtigste Quelle, um das Handeln der Berner Regierung zwischen dem 7. Juli und 28. November 1749 nachzuvollziehen, ist ein Manual der Berner Regierung vom 7. Juli bis 28. November 1749, das 2019 wiederentdeckt wurde.13 Als erste Massnahme beschloss die Berner Obrigkeit, dass die Namen aller Geflüchteten am Dienstag, 29. Juli 1749, auf dem Rathausplatz proklamiert werden. Zugleich wurde den sich auf der Flucht befindenden Verdächtigen ein zeitliches Ultimatum von drei Wochen gestellt, um sich freiwillig der Justiz auszuliefern.14
Als zweiten Schritt informierte die Berner Regierung die zwölf weiteren Eidgenössischen Orte sowie deren Zugewandte, Verbündete und Benachbarte. Insbesondere wurden das Wallis, Genf, Mülhausen, Neuenburg und Neuenstadt, Basel, St. Gallen und Biel über die Geflüchteten informiert. Um zu verhindern, dass die drei Geflüchteten unerkannt durchreisen konnten, wurden Steckbriefe angefertigt und verschickt.15
Am 20. August 1749 endete das Ultimatum und zwei Tage später beschloss der Rat der Zweihundert, dass sich Gottfried Kuhn, Gabriel Fueter und Christian Daniel Fueter durch ihre Flucht als schuldig bekannten, erklärte sie als vogelfrei und setzte ein Kopfgeld von 1000 Thalern (lebendig) bzw. 500 Thalern (tot) auf sie aus.16
Urteil und Vollstreckung
Hochverrat, lautete das Urteil der Berner Regierung. Christian Daniel Fueter, Gottfried Kuhn und Gabriel Fueter wurden zum Tod durch das Schwert verurteilt. Die Körper von Gabriel Fueter und Gottfried Kuhn sollten zudem nach der Enthauptung viergeteilt werden.17 Das Urteil wurde am Dienstag, 16. September aufgrund der Abwesenheit der Angeklagten an deren Bildnissen vollstreckt. Der Rat beschloss: «[…] dass deren bildniß auf zwey verschidene tücher […] nid vollends in lebens-, sondern mittlerer größe, mit beysetzung ihrer nahmen sollen gemahlet, und darmit in allem so verfahren werden solle, alß wan die delinquenten anwesend wären.»18 Bei Hinrichtungen an bildlichen Darstellungen, auch executio in effigie genannt, handelte es sich häufig um exemplarische Strafen bei religiösen oder politischen Vergehen.19 Zu den politischen Gründen für eine Exekution in effigie gehören Majestätsbeleidigung, Anzetteln eines Aufstandes oder Hochverrat.20 Im Fall der drei Geflüchteten kann argumentiert werden, dass sie sich allen drei Aspekten schuldig gemacht haben.21
Fazit
Abschliessend kann festgehalten werden, dass Gottfried Kuhn, Christian Daniel Fueter und Gabriel Fueter wichtige Schlüsselfiguren bei der Rekrutierung und der Organisation der Verschwörung waren. Insbesondere Gabriel Fueter scheint einer der führenden Köpfe gewesen zu sein, da er Samuel Henzi, Emanuel Fueter und Johann Friedrich Küpfer rekrutierte. Der genaue Fluchthergang kann aufgrund der überlieferten Quellen nicht rekonstruiert werden. Klar ist, dass die Massnahmen der Regierung – das Ultimatum, das Kopfgeld und die Steckbriefe – nicht dazu beitrugen, dass die Geflüchteten gefasst werden konnten. Die Flucht wurde von der Obrigkeit als vollumfängliches Geständnis interpretiert, weshalb Gabriel Fueter, Christian Daniel Fueter und Gottfried Kuhn als Hochverräter zum Tod verurteilt wurden. Das Urteil wurde in Abwesenheit der Angeklagten an deren Bildnissen vollstreckt.
Generell zeigt sich, dass die bisherige Rezeption der Unruhen von 1749 stark durch die Überbetonung von Samuel Henzi geprägt war. Die Berücksichtigung anderer Akteure lässt neue Rückschlüsse auf die genaue Rollenverteilung zwischen den Verschwörern zu und ermöglicht so neue Fragestellungen, die die Historiographie in Zukunft prägen werden.
Anmerkungen
1. Für einen Überblick über die Henzi-Verschwörung siehe: Dubler, Henzi-Verschwörung (HLS), https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017206/2006-08-30/ sowie Hafner, Auf der Suche nach Bürgertugend, S. 283 f.
2. Dubler, Henzi-Verschwörung (HLS), https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017206/2006-08-30/.
3. Baebler, Samuel Henzi’s Leben und Schriften, S. 94.
4. Die Verwandtschaftsverhältnisse der an der Verschwörung beteiligten «Fueter» gestalten sich wie folgt: Emanuel Fueter war der Cousin zweiten Grades von Gabriel und Daniel Fueter. Daniel Fueter, der Handelsmann, war der Bruder von Gabriel. Christian Daniel Fueter, der Goldschmid, war der Cousin zweiten Grades von Gabriel und Daniel. Zusätzlich dazu war Emanuel Fueter der Cousin des Vaters von Christian Daniel Fueter. Gottfried Kuhn war der Cousin dritten Grades von Gabriel und Daniel Fueter, war aber nur sehr weit entfernt mit Christian Daniel Fueter verwandt. Für die Berechnung des Verwandtschaftsgrads siehe: Historisches Familienlexikon der Schweiz, http://www.hfls.ch/humo-gen/relations [letzter Zugriff: 06.12.2024].
5. «Band 1749» (Gross-Turmbücher, 1749-1799), 1749, B IX 493.
6. Als Grund gab er einen Traum an, in dem er angeblich das göttliche Gesicht seines verstorbenen Vaters sah, der ihn mit lauter Stimme davon warnte, sich der Verschwörung anzuschliessen. Grosses Turmbuch 1749, S. 270-273.
7. Die Berner Obrigkeit verurteilte Daniel Fueter zu drei Jahren Haft innerhalb der Berner Stadtmauern, was ein vergleichsweise hartes Strafmass für einen Komplizen war. «Manual ansehend die im Julio 1749 in der Statt Bern entdeckte Conspiration», 07.07.1749-28.11.1749, A I 932, S. 69 f.
8. Grosses Turmbuch 1749, S. 38, S. 83-85, 112, 114 f., 125 f., 172.
9. Gabriel Fueter, Historisches Familienlexikon, http://www.hfls.ch/humo-gen/family/1/F29092?main_person=I84440.
10. Gottfried Kuhn, Historisches Familienlexikon, http://www.hfls.ch/humo-gen/family/1/F33279?main_person=I97266.
11. Kunzmann, Christian Fueter (HLS), https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/031557/2006-11-14/.
12. Zu diesem Zeitpunkt waren nicht nur Gabriel Fueter, Christian Daniel Fueter und Gottfried Kuhn, sondern auch Rudolf Wernier, David Hug, Friedrich Gabriel Scheurer und Daniel Stettler auf der Flucht.
13. Manual 1749, A I 932. Die Protokolle der Berner Regierung lassen neue Fragestellungen zu, die in der Zwischenzeit auch in Publikationen vorliegen. Siehe: Heim, Aus dem Arkanum in die Öffentlichkeit.
14. Manual 1749, S. 33-47.
15. Diese Steckbriefe sind detailliert und bieten sich für weitere Arbeiten sehr an. Siehe: «Steckbrief und Signalement des Gabriel Fueter (1714-1785), (Christian) Daniel Fueter (1720-1785) und Gottlieb Kuhn (geb. 1709), der Urheber der Henzi-Verschwörung, 1749», 18. Jh. [Bern 1749], Mss.h.h.LII.325 (7).
16. Manual 1749, S. 105-107.
17. Sehr stenges Strafmass, was sich besonders daran zeigt, wie die vier Geflüchteten verurteilt wurden, die sich der Berner Regierung stellten. Rudolf Wernier wurde lebenslang verbannt, Friedrich Gabriel Scheurer wurde zwanzig Jahre verbannt, David Hug erhielt zwei Jahre Hausarrest und Daniel Stettler wurde freigesprochen. Manual 1749, S. 114-121. Dass die Berner Obrigkeit die vier Mitverdächtigen, die sich stellten, mild bestrafte, deckt sich weitgehend mit dem Regierungsnarrativ.
18. Manual 1749, S. 106, 110.
19. Grøn, Bestrafung in effigie, S. 364. Für einen weiteren Überblick zu executio in effigie siehe: Brückner, Bildnis und Brauch, S. 303-310.
20. Müller, Punishing Images, S. 165.
21. Mit dem Vorbehalt, dass es sich nicht um Majestätsbeleidigung im engeren Sinn handelte, sondern um eine Beleidigung an der Republik Bern sowie deren Obrigkeit.
Bibliographie
Archivquellen
Burgerbibliothek Bern
Mss.h.h.LII.325 (7), «Steckbrief und Signalement des Gabriel Fueter (1714-1785), (Christian) Daniel Fueter (1720-1785) und Gottlieb Kuhn (geb. 1709), der Urheber der Henzi-Verschwörung, 1749», 18. Jh. [Bern 1749].
Staatsarchiv Bern
A I 932, «Geheimes Manual über die Henzi-Verschwörung von 1749», 07.07.1749-28.11.1749.
B IX 493. «Band 1749» (Gross-Turmbücher, 1749-1799), 1749.
Gedruckte Quellen
Baebler, Johann Jakob: Samuel Henzi’s Leben und Schriften, Aarau 1879.
Literatur
Brückner, Wolfgang: Bildnis und Brauch. Studien zur Bildfunktion der Effigies, Berlin 1966.
Dubler, Anne Marie: Henzi-Verschwörung, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), 30.08.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017206/2006-08-30/ [letzter Zugriff: 05.12.2024].
Grøn, Fredrik: Ueber den Ursprung der Bestrafung in effigie, in: Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 13/3 (1934) S. 320-381.
Hafner, Urs: Auf der Suche nach Bürgertugend: Die Verfasstheit der Republik Bern in der Sicht der Opposition von 1749, in: Böhler, Michael et al. (Hg.), Republikanische Tugend: Ausbildung eines Schweizer Nationalbewusstseins und Erziehung eines neuen Bürgers, Genf 2000, S. 283–299.
Heim, Debora: Aus dem Arkanum in die Öffentlichkeit. Medien- und Kommunikationspolitik des Berner Geheimen Rats in der «Henzi-Verschwörung» (1749), in: xviii.ch. Schweizerische Zeitschrift für die Erforschung des 18. Jahrhunderts 15 (2024).
Kunzmann, Ruedi: Christian Fueter, in Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), 14.11.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/031557/2006-11-14/ [letzter Zugriff: 06.12.2024].
Müller, Marion G.: Punishing Images: An Iconological Retrospective on executions in effigy Past and Present, in: Mersmann, Brigit; Kruse, Christiane, Bartezky, Arnold (Hg.): Image Controversies. Contemporary Iconoclasm in Art, Media, and Cultural Heritage, Berlin; Boston 2024, S. 162-178.