Variationen in der Sprache der Mozart-Briefe
Um unsere Erkenntnisse in einen Kontext zu setzen, betrachten wir an dieser Stelle auch die allgemeine Briefsprache des 18. Jahrhunderts, um Relationen zu der Sprache in den Briefen von Leopold, Wolfgang Amadeus und Franz Xaver herzustellen. Wir beziehen uns an dieser Stelle auf die Erkenntnisse von Ingo Reiffenstein (2009).
Im 18. Jahrhundert erlebt der bürgerliche Privatbrief eine Hochzeit. Er dient unter anderem der Manifestation des sozialen Status. In diesem Briefen hervorstechend ist der französische Einfluss (Reiffenstein, 2009, S.48). Eben jener lässt sich vor allem im Brief von Leopold feststellen, beispielsweise in der Anrede und Verabschiedung in französischer Sprache oder auch dem Einsatz von französischen Fremd- und Lehnwörtern. Auch bei Wolfgang Amadeus hebt sich der französische Einfluss hervor, erlebt allerdings in seinem Brief schon eine Abschwächung. Beim Brief von Franz Xaver haben wir wiederum nahezu gar nichts mehr vom französischem Stil. Dies lässt sich vermutlich mitunter damit erklären, dass der Brief von Franz Xaver aus 1820 stammt, jener von Leopold noch aus 1755. Es liegen also knappe 70 Jahre zwischen den beiden Briefen, wodurch ihr teilweise unterschiedlicher Stil dahingehend an der voranschreitenden Zeit und der damit verbundenen Veränderungen im allgemeinen Brief- und Schreibstil erklärt werden kann.
Ebenso verbunden mit dem französischem Einfluss ist der neue natürlich Stil bzw. der Schreibstil der Natürlichkeit. Damit ist nicht gemeint, dass nun in Form der Alltagssprache geschrieben wird. Man verwendet eine stilisierte Sprache, die einem Gespräch gehobener Art gleicht (Reiffenstein, 2009, S.48). Diese Natürlichkeit findet sich in den Briefen von Leopold und Wolfgang Amadeus unter anderem in den Interjektionen. So findet sich beispielsweise bei Leopold ein „Basta“ (Brief vom 28. August 1755 an Johann Jakob Lotter) und bei Wolfgang Amadeus ein „O gott“ und ein „Adieu“ (Brief vom 10. April 1789 an Constanze Mozart).
Die Briefe der Mozarts zeichnen sich an sich durch eine sprachliche und stilistische Variation aus. Nach Reiffenstein (2009) resultiert dies aus den unterschiedlichen Kontexten ihrer Briefpartner und Briefpartnerinnen. So lassen sich die stilistischen Unterschiede in unseren drei Briefen natürlich auch auf den unterschiedlichen Kontext der Briefpartner und Briefpartnerinnen zurückführen. Wolfgang Amadeus schreibt an seine Frau Constanze, Leopold und Franz Xaver schreiben hingehen jeweils an einen Bekannten. Leopold spricht diesen in seinem Brief zwar mit „ami“ (also zu deutsch „Freund“) an und ebenso begrüßt Franz Xaver seinen Bekannten mit „Freund“, allerdings fahren beide in ihren Briefen mit dem höflichen und distanzierten „Sie“ weiter.
Reiffenstein (2009) befasst sich – ähnlich wie wir – mit den sprachlichen Phänomen in den Mozartbriefen. Er führt an, dass die Briefe der Mozarts in der oberdeutschen Schreibsprache verfasst sind und beleuchtet dabei die Schreibstile von Leopold und Wolfgang Amadeus näher. So charakterisiert Reiffenstein (2009) Leopold Mozart aufgrund seines Schreibstils als Mann von Bildung und Aufklärung, der mit dem Hochdeutschen sympathisiert und der katholisch-oberdeutschen Tradition folgt. Auch uns ist im Vergleich der drei Briefe aufgefallen, dass der Schreibstil von Leopold durch seine Förmlichkeit und Eloquenz gegenüber den anderen beiden Briefen heraussticht. Ebenso erläutert Reiffenstein (2009), dass Leopold allerdings in seinen Privatbriefen auf die strenge Umsetzung der Regeln der oberdeutschen Schreibsprache verzichtet. Die Briefe von Wolfgang Amadeus zeichnen sich wiederum nach Reiffenstein (2009) durch Überschneidungen mit der gesprochenen Sprache aus. Er verwendet vermehrt sprechsprachliche und dialektale Formen und Wendungen. Der Schreibstil von Wolfgang Amadeus zeichnet sich vor allem durch Kreativität in der Sprachverwendung aus (Reiffenstein, 2009, S.68). In unserem Brief von Wolfgang Amadeus zeigt sich dies unter anderem in seinem Hang zur Verniedlichung, beispielsweise bei „weibchen“. Ebenso lässt sich dies in seinen bildlichen Ausdrücken erkennen, beispielsweise wenn er beschreibt, wie viele innige Küsse er seine Constanze schickt (Brief vom 10.April 1789).
Wie bereits erwähnt, orientieren sich die Schreibstile von Leopold, Wolfgang Amadeus und Franz Xaver Mozart an der Tradition der oberdeutschen Schreib- bzw. Literatursprache des 18. Jahrhunderts. Reiffenstein (2009) führt dazu an, dass sich die Familienmitglieder der Mozarts in Bezug auf Alter, Bildungsstand bzw. Ausbildungsgrad und Persönlichkeit entsprechend in unterschiedlichem Ausmaße an die Regeln der oberdeutschen Literatursprache halten.
Die Schreibsprache der oberdeutschen Tradition zeichnet sich durch eine Orthographie aus, die sich an der süddeutschen Schreibsprache des Spätmittelalters orientiert. Dabei ergeben sich Überschneidungen mit den Regeln des Hochdeutschen des Spätmittelalters und mit den Systemen der gesprochenen bzw. dialektalen Sprache des Oberdeutschen (Reiffenstein, 2009, S.54). Ein Phänomen, das uns dabei auch bei den drei Briefen ins Auge gestochen ist, ist der unterschiedliche Einsatz von i/ie. So wird in der oberdeutschen Literatursprache streng zwischen i und ie differenziert, wodurch das Dehnungs-ie in der oberdeutschen Literatursprache nicht zum Einsatz kommt. Ebenso ist dies in unseren drei Briefen von Leopold, Wolfgang Amadeus und Franz Xaver ersichtlich. Spannend ist auch, dass es in der oberdeutschen Literatursprache den Höflichkeitstopos gibt, welcher vorsieht, dass das Subjektpronomen ich nur selten zum Einsatz kommt (Reiffenstein, 2009, S.56). Unsere Analyse der drei Briefe hat aber ergeben, dass ich zu den am häufigsten vorkommenden Wörtern in den drei Briefen zählt. Hier kommt es offenbar zum Bruch einer Regel der oberdeutschen Schreibsprache durch die drei Briefschreiber.