Quantitative Analyse
Im Folgenden werden mögliche Gründe für die auffällige Häufung von Abkürzungen in manchen Briefen auf ihre Haltbarkeit untersucht. Folgende Hypothesen werden dazu formuliert und direkt im Anschluss verifiziert:
1) Die Anzahl der Abkürzungen korreliert mit der Länge des Briefes.
2) Die Anzahl der Abkürzungen korreliert mit der zeitlichen Länge der Korrespondenz.
3) Die Anzahl der Abkürzungen korreliert mit dem Schriftbild.
4) Die Anzahl der Abkürzungen korreliert mit der Beziehung zum/-r Rezepienten/-in.
ad 1) Abkürzungen <-> Brieflänge
Die Analyse eines möglichen Zusammenhanges zwischen Abkürzungsanzahl (durch Zählung des Graphems <ç> mittels Voyant Tool ermittelt) und der Brieflänge (Seitenzahl) ergab kein eindeutiges Ergebnis. Zwar zeichnen sich die beiden ein- bzw. zwei seitigen Briefe durch eine wesentlich höhere Abkürzungsanzahl pro Seite aus, als jene mit zehn bis 22 Seiten, eine die Hypothese betreffende allgemeingültige Aussage kann anhand des Ergebnisses (und der geringen Anzahl der untersuchten Briefe) jedoch nicht getroffen werden. In Bezug auf die anderen aufgestellten Hypothesen aber durchaus bemerkenswert ist die Tatsache, dass alljene Briefe, die an Lorenz Hagenauer geschrieben wurden, durch eine sehr niedrige Abkürzungsanzahl auffallen. Dies gilt es sich für Hypothese 4 vorzumerken.
ad 2) Abkürzungen <-> Dauer der Korrespondenz
Ob die Anzahl der verwendeten Abkürzungen in Leopold Mozarts Briefen mit der Länge des Briefswechsels steigt, wurde anhand ausgewählter Schreiben aus seiner Korrespondenz mit Freund und Kaufmann Johann Lorenz Hagenauer (von 1762 - 1770) untersucht.
Dazu wurde das Graphem <ç> in den Briefen (mittels Voyant) gezählt und - die Länge der Briefe variiert hier von einer Seite bis 22 Seiten - der Durchschnitt der verwendeten Abkürzungen pro Seite ermittelt, um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen. Diese stellt die Abbildung rechts dar.
Daraus lässt sich ablesen, dass die Abkürzungsdichte in den ausgewählten Briefen an Hagenauer - bis auf zwei herausstechende Ausreißer unter den ersten und letzten untersuchten Briefen - grundsätzlich recht niedrig ist; sie befindet sich in den meisten Fällen deutlich unter fünf Abkürzungen pro Seite. Entgegen der angenommenen Hypothese lässt sich aber keine Korrelation zwischen der Abkürzungsdichte und der zeitlichen Dauer der Korrespondenz erkennen. Anders als angenommen gibt es gegen Ende des Briefwechsels also nicht eindeutig mehr Abkürzungen in den Schreiben.
ad 3) Abkürzungen <-> Schriftbild
Im Folgenden werden die Briefe anhand des Schriftbildes verglichen. Es wurden dabei zwei Gruppen erstellt, die zum einen Briefe mit auffällig schlechtem Schriftbild und zum anderen Briefe mit auffällig gutem Schriftbild enthalten. Die Beurteilung des Schriftbildes basiert dabei auf einer subjektiven Einschätzung, der die Kriterien "Zeilenabstand", "Lesbarkeit" und "Beschreibungsdichte" zugrunde liegen.
Nun ist es entscheidend herauszufinden, ob das Schriftbild dabei mit der Menge an Abkürzungen korreliert. Im Zuge dieser Untersuchung wurden die Transkriptionen mittels Voyant auf die Häufigkeit des Abkürzungsgraphems <ç> untersucht. Die untersuchten Briefe wurden jeweils in ihrer Gruppe mittels Balkendiagramms dargestellt, wobei auf der y-Achse die durchschnittliche Häufigkeit der Abkürzungen pro Seite aufgetragen wird. Im Vergleich der beiden Gruppen soll schließlich ein möglicher Zusammenhang zwischen Schriftbild und Abkürzungshäufigkeit ermittelt werden.
Schlechtes Schriftbild
Leopold Mozarts Schriftbild schien mit der Zeit stetig schlechter bzw. schlampiger zu werden. Insbesondere die Briefe an seine Familienmitglieder weisen durchwegs eine saloppere Handschrift auf. Um für diese Analyse eine möglichst breite Streuung zu erzielen, wurden allerdings Briefe mit verschiedenen Adressaten gewählt. Im Balkendiagramm sind die jeweiligen Briefe dabei nach Sendedatum sortiert. Die Abkürzungen pro Seite variieren beim schlechten Schriftbild zwischen 20 und 60. Die analysierten Briefe weisen eine Länge von einer bis acht Seiten auf.
Gutes Schriftbild
Leopold Mozarts Briefe, die ein sehr gutes Schriftbild aufweisen, sind fast ausschließlich an Johann Lorenz Hagenauer adressiert, der Kaufmann und ein Freund der Familie war. Die hier analysierten Briefe an Hagenauer weisen eine Länge von drei bis zwölf Seiten auf. Die durchschnittlichen Abkürzungen pro Seite belaufen sich bei den schön geschriebenen Briefen auf lediglich 1-2.
Anhand dieser Analyse lässt sich also die Annahme bestätigen, dass die Häufigkeit der Abkürzungen mit der Qualität des Schriftbildes korelliert. Ebenso für diese Theorie spricht, dass selbst die Briefe an Hagenauer, die ein schlechtes Schriftbild aufweisen, mehr Abkürzungen beinhalten.
ad 4) Abkürzungen <-> Beziehung
Gegenstand der folgenden Untersuchung ist es, herauszufinden, welche Rolle die Beziehung zwischen Briefautor und Adressaten/-innen für die Abkürzungsanzahl spielt. Schon Reiffenstein (2009, S.50) merkt an, dass sich aufgrund der Unterschiedlichkeit der Briefpartner in Geschlecht, Bildung und Temperament eine hohe sprachliche und stilistische Variation in Mozarts Briefen ergibt.
Für die Untersuchung wurden Briefe an Obrigkeiten mit jenen an Freunde und Familienmitglieder in Bezug auf die in ihnen enthaltene Anzahl an Abkürzungen verglichen. Das Ergebnis ebendieses Vergleiches illustrieren untenstehende Diagramme:
Ein Blick auf die Graphen lässt eine vorsichtige Interpretation der Ergebnisse zu:
Im nebenstehenden Balkendiagramm sind jeweils 2 Briefe an Wolfgang, Anna Maria (Leopolds Frau) und Maria Anna (Leopolds Tochter) enthalten. Die durchschnittliche Abkürzungsanzahl pro Seite liegt in allen untersuchten Schreiben an Familienmitglieder Leopold Mozarts über dem Wert 30. Die höchste ermittelte Anzahl liegt in einem Brief an seinen Sohn Wofgang Amadé bei 65. Insgesamt zeigt sich also, dass die Anzahl der Abkürzungen in Briefen an die Familie etwa auf einem einheitlichen Niveau zwischen 30 und 65 Abkürzungen pro Seite liegt.
Bei den Briefen an Freunde sind in dieser Untersuchung Johann Lorenz Hagenauer, Johann Gottlob Immanuel Breitkopf und Jakob Lotter ebenfalls mit jeweils 2 Briefen vertreten. Die gemessenen Werte in den betrachteten Briefen ist sehr durchwachsen. Sie reicht von 0,6 Abkürzungen pro Seite bis 40. Dabei weisen vor allem die beiden Briefe an Hagenauer und Lotter eine extreme Abweichung voneinander auf. Insofern sind die Briefe an Freunde in Bezug auf die verwendeten Abkürzungen also auf keinem einheitlichen Niveau.
Die Abkürzungen in den formellen Schreiben hebt sich merklich (!) von den anderen Briefen, besonders von denen an die Familie, ab. Der höchste gemessene Wert liegt hier bei knapp über 15, im Schreiben an Martha Elisabeth von Waldstätten ist sogar keine einzige mit <ç> markierte Abkürzung zu finden. Mit Ausnahme des Briefes an Fürstbischof Ignaz lässt sich also behaupten, dass Leopold bei Briefen an Personen, zu denen er in sozialer Distanz steht, wesentlich weniger Abkürzungen verwendet.
Anhand der untersuchten Gruppen und Briefe lässt sich durchaus ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Abkürzungen in Leopolds Briefen und seiner Beziehung zu deren Empfängern herstellen. So kann behauptet werden, dass in Briefen an Familienmitglieder durchschnittlich wesentlich mehr Abkürzungen verwendet werden, als es in Briefen an Fremde der Fall ist. Aufgrund der enormen Streuung in der Gruppe der Freunde lässt sich darüber keine eindeutige Aussage treffen.