Skip to main content

Ergebnisse & Reflexion

***

Die Verwendung des Konjunktivs

***

Zeigt die Verwendung des Konjunktivs eine Tendenz zum Abbau bzw. zur Ersetzung durch den würde-Konjunktiv?

  • insgesamt werden 40 Sätze mit Konjunktiv - Formen formuliert
  • davon sind 32 mit dem Konjunktiv I und II
  • die restlichen 8 besitzen Formulierungen mit würde+Infinitiv (Konditional)

--> eine Tendenz zum Abbau des Konjunktivs konnte festgestellt werden (Vergleich mit anderen Briefen)

--> eine Tendenz zum Konjunktiv mit "würde" konnte nicht festgestellt werden

 

 

Karl Reuter formuliert in seinem Brief 17 Sätze, in denen er eine Form des Konjunktivs verwendet. Inhaltlich unterscheidet sich sein Brief aber sehr vom Brief seines Bruders, da er oft Fakten und Tatsachen aufzählt und beschreibt.

  • Karl Reuter zählt auf wer verstorben ist, nach Amerika gegangen ist, geheiratet hat und eingezogen wurde.
  • Er beschreibt in welchen Verhältnissen sie leben und wie die finanzielle Situation ist.

Andreas Reuter formuliert 23 Sätze, in welchen er den Konjunktiv gebraucht. Inhaltlich beschreibt er hauptsächlich seine persönlichen Beweggründe, um seine Entscheidung für die neue Eheschließung zu verteidigen. Er verwendet den Konjunktiv öfter als sein Bruder Karl, der viel weniger Äußerungen über persönliche Befindlichkeiten tätigt. In diesem Zusammenhang wird ersichtlich, dass der Konjunktiv bei der Darstellung von persönlichen Vorstellungen und Erlebnissen öfter verwendet wird.

***

***

 

 

Nebensätze mit "dass"

2. Wird die Verbendstellung in allen dass-Sätzen durchgehend eingehalten?

  • insgesamt gibt es 23 dass-Sätze
  • davon haben nur zwei keine Verbendstellung

 

--> die Verbenstellung wird nicht in allen dass-Sätzen eingehalten

---> die Verbendstellung wird in 21 von 23 dass-Sätzen eingehalten

 

In der mündlichen Sprachverwendung wird das Verb in Nebensätzen mit "dass" fast immer an der zweiten Position verwendet. In der schriftlichen Form ist die Verbendstellung die Norm, besetzt das Verb eine andere Position, gilt das als Fehler.

Eine Untersuchung der Verbstellung in den "dass"- Sätzen im Brief könnte eine Neigung zur Mündlichkeit aufzeigen und somit Abweichungen von der normierten Standardform. Außer in zwei Sätzen halten sich beide Briefschreiber durchgehend an die schriftliche Normvorgabe. Dieses Merkmal macht deutlich, dass der Brief mit Öffentlichkeitscharakter in der Sprache verfasst wurde. Dadurch ist erkennbar, dass der Adressat des Briefes nicht, wie in der Anrede im Briefkopf vermutet, eine einzelne Person ist, sondern mehrere Personen oder sogar die Öffentlichkeit .

 

***

***

Leser

3.  Sind die Briefe in Standardsprache verfasst und an welches Publikum richten sie sich? 

Die sprachliche Analyse der Briefe lässt auf eine Standardnähe schließen. Wie Helbich (1988) anmerkt, rekrutierten sich die deutschen Auswanderer vorwiegend aus den Unterschichten und unteren Mittelschichten. Auch die Reuter Brüder sind als Schmiede eher eine unteren Schicht zuzuordnen. Eine Erklärung für den doch eher standardnahen Stil gibt Bell (1984) mit seiner Audience Design Theory. In seiner ursprünglichen Studie analysierte Bell die Sprache australischer Nachrichtensender - seine These: Sprecher passen ihre Spreche unbewusst einem "verdeckten Publikum" an. Dass die Audience Design Theory nicht nur für die Analyse von Massenmedien herangezogen werden kann zeigten bereits Hernández-Campoy und García-Vidal 2018 in ihrem Paper "Style-shifting and accommodative competence in Late Middle English written correspondence: Putting Audience Design to the test of time.: 

"Despite the limitations of Bell’s Audience Design Model, his studies on intra-speaker variation succeeded in locating style at the centre of sociolinguistic debate at both the theoretical and the methodological levels, inspiring fruitful research and developing interdisciplinary and multidisciplinary approaches accounting for its nature and functioning." (411)

Es ist davon auszugehen, dass die Brüder ihre Briede also für ein Publikum verfassten und davon ausgehen mussten, dass ihre Briefe vorgelesen werden. Hierzu Lehmkuhl (2020: 636):

"Auswandererbriefe wurden in der Regel in der gesamten Familie, teilweise auch in der dörflichen Gesellschaft weitergereicht und gelesen. Sie weisen insofern auch ein eigentümliches Spannungsverhältnis zwischen Privatheit und Öffentlichkeit auf. Einerseits dient der Brief der Bestätigung der immer wieder neuen Herstellung familiärer Nähe und Verbundenheit; andererseits enthält er wichtige Informationen für potentielle Auswanderungswillige. 
Der Informationsgehalt und die Schilderungen der Situation im Einwanderungsland in Auswandererbriefen wurden aufgrund der Vertrautheit mit der Person des Briefeschreibers von den Lesern häufig authentischer und verlässlicher bewertet als Informationen in offiziellen Auswanderer-Ratgebern."