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Lieber Bruder deinen Brif von 19ten Mai habe ich erhalten und ersehe daraus daß Ihr ale wieder gesund sei[d] u ersehe auch daß es in Teutschland wieder ser schlegt ist. Lieber Bruder ich mus dir auch zu wisen tun daß ich je[z]t ein Kiffer bin ich hatte mich verakutird bei einen Mann mit namen Zollman geboren von Mensfelten der im St. Intiana dem sein Sonn ist ein Kiffer um 8 Monad zu leren in den 8 Monad verschbrach er mir und Christian Köpller von Nauheim der 3 Wohen vor mir nach Amirka [w]ar.

 

Die Amerikabriefe des Christian Lenz: Inhalt und sprachliche Analyse

WER WAR CHRISTIAN LENZ?

Christian Lenz war ein Tagelöhner, welcher auswanderte, um in Amerika Arbeit zu finden. Er gehörte also der niedrigen Gesellschaftsschicht an, welche die Mehrzahl der Auswanderer ausmachte. Er lernte seine Frau in seiner neuen Heimat kennen, diese erkrankte allerdings bald schwer. Christian Lenz erwarb in den USA Handwerkszeug, Holz und Vieh und wollte so "für sich selbst arbeiten". 

 

Die beschwerlichen Wege in die neue Heimat

 

 

INHALT DER BRIEFE

Erster Brief vom 17.08. 1949

Christian Lenz schreibt seinem Bruder, dass er sich freut, dass es ihnen gut geht und dass er gehört hat, dass die Situation in Deutschland momentan sehr schlecht ist. Er erzählt, dass er als Küffer bei einem Herrn Zollman Arbeit gefunden hat und er schließlich dessen Tochter heiratete, welche aber kein Deutsch kann. Sie hat sich auch um ihn gekümmert, als er für drei Monate krank wurde. 

Weiters erzählt er, dass er sich ein Haus, Acker, Holz und Handwerkszeug gekauft hat. Er besitzt außerdem fünf Schweine, einige Hühner und  einen Hund.

Christian Lenz geht auch auf den Wunsch seiner Schwester ein, auch auszuwandern - diesen könnte er nicht unterstützen, da er drei Monate lang nichts verdient hat und Apotheke, Doktor und das Handwerkszeug teuer waren. Er wünscht sich zwar, dass seine Familie bei ihm wäre, da man hier in Frieden leben könnte, andererseits leide man in der "Neuen Welt" unter der Cholera, welche viele Menschen getötet hatte. 

Ein weiteres Thema, auf welches Lenz eingeht, ist die Religion. In Amerika wäre Lenz viel gläubiger geworden. Er mahnt seine Familie, den Glauben hochzuhalten. 

 

Zweiter Brief vom 29. Januer 1852

Christian Lenz beginnt den zweiten Brief damit, dass er froh ist, nicht im unruhigen Deutschland zu sein. Weiters weigert er sich, seiner Schwester Geld für die Auswanderung zu leihen, da er erst einige Ausgaben gehabt hatte. Zum Beispiel hatte er sich ein Pferd gekauft, brauchte allerdings noch einen Pflug und Saatfrüchte. 

Weiters lehnt er es, wie sein Bruder, ab, dass ihre Schwester einen Katholiken heiraten möchte und ermahnt sie. Er erzählt auch seinem Bruder, dass er Wilho und Gristian das Kieferhandwerk lernen möchte, damit sie nicht ins Feld gehen müssen. Dann macht Lenz noch eine Auflistung seiner Besitztümer: Ein Pferd, zwei Kühe, ein zweijähgries Rind, zwei Schweine, 45 bis 50 Hühner, neun Gänse und zwei Hunde.

 

Dritter Brief vom 29. Mai 1855

Christian Lenz berichtet seinem Bruder, dass der Preis für das Holz so gefallen war, dass die Fässer keinen Gewinn brachten - daher verkaufte er alles und zog nach Louiseville (= Kentucky). Er bekam dort Arbeit, aber verdiente sehr schlecht. Schließlich wurde auch seine schwangere Frau krank und blieb dies auch bis zur Geburt. Schließlich kam sein Sohn auf die Welt. Sein Frau wurde gesund, nun aber erkrankten seine Kinder. 

Weiter erzählt Christian Lenz, dass die Deutschen in den USA aufgrund des Krieges mit Gewalt, Diskriminierung und Vandalismus zu kämpfen hatten. Das Stimmrecht wurde ihnen verweigert, auf sie wird geschossen und ihre Häuser werden zerstört. Weiters herrscht Hungersnot, die Armen werden von der Stadt gespeist, die Arbeitslosenrate ist hoch und  die Preise sehr hoch. 

Louisville im 19. Jahrhundert

 

SPRACHLICHE MERKMALE  MITHILFE DER DEFIZITHYPTHESE VON BERNSTEIN

1. Kurze, grammatikalisch einfache, häufig unvollständige Sätze

Christian Lenz schreibt sehr lange Sätze. Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass er kaum Interpunktion in seinen Sätzen verwendet und seine Sätze selten und willkürlich mit einem Punkt beendet. Eine Abgrenzung syntaktischer Einheiten mithilfe von Beistrichen finden sich hingegen gar nicht. Das Onlinetool  "Voyant" ergibt eine durchschnittliche Länge der Sätze von 75 Wörtern.

Durch die Länge der Sätze ergeben sich viele grammatische Fehler und Unklarheiten von semantischen Einheiten. 

 

2. Begrenzte Anzahl von Adjektiven und Adverbien

Trotz des Umfanges der Briefe verwendet Christian Lenz wenig Adjektive und Adverbien. Das Numeral ist klar jene Wortart, welche in den Briefen am häufigsten vorkommt, gefolgt von persönlichen Pronomen, Verben und Nomen. 

Die fehlenden Adjektive kommen unserer Meinung nach vor allem in der Beschreibung seiner Frau und der Kinder zu tragen:
"nach etlichen Wochen wurde meine Frau wieder gesund da wurden meine Kinder ale krank"

Carl Hermanns hingegen beschreibt seine Familie wie folgt:

"mein liebes Weib und meine beiden hübschen Kinder"

Auffällig ist jedoch, obwohl er seiner Frau und den Kindern keine weiteren Beschreibungen zukommen lässt, wird der Bruder und die Schwester stets mit dem Adjektiv "liebe/r" versehen. 

3. Verwendung von Sprichwörtern

Christian Lenz zitiert mehrfach aus der Bibel, verwendet aber sonst keine Sprichwörter in seinen Briefen. 

 

4. Selten unpersönliche Sprechweise

Christian Lenz verwendet in einem Großteil seines Textes eine persönliche Sprechweise. Dies zeigt sich unter anderem an der häufigen Verwendung des Pronomen "ich", welches 66 Mal im Text vorkommt. Auch an der Sprache des Textes ist dies gut erkennbar: Die Sprache ist, vor allem im Hinblick auf die stilitisch viel nüchternere Briefe des Carl Hermanns, sehr emotional. 

Während Hermanns lediglich in der Grußformel die Verwandtschaft anspricht, zeichnen Lenz' Briefe eine gewisse Nähe-Beziehung aus, da er seinen Bruder mehrmalig direkt erwähnt. 

5. Geringerer Wortschatz

Christian Lenz hat nach dem Onlinetool Voyant eine Wortschatzdichte von 0,406. Im Vergleich zu Carl Hermans' Briefen, welche eine Wortschatzdichte von 0,474 besitzen, ist der Wortschatz in Lenz' Briefen nur rudimentär kleiner. 

6. Verstärkungen am Ende von Sätzen

Lassen sich keine finden. 

 

 

MERKMALE EINES NICHT-ELABORIERTEN STILS

Christian Lenz verwendet in seinem Briefen vereinzelt Fremdwörter, schreibt diese aber ausnahmslos falsch. So wird aus Amerika „Amirka“, aus Apotheke „Abot[k]e“, aus St. Indiana „St. Intiana“ und aus Cholera „Korlra“.

Im Bezug auf einen weiteren Unterpunkt des elaborierten Stils, nämlich der „grammatikalischen Korrektheit“, sagt der Text einiges aus. Die Briefe von Lenz weisen eine ganze Reihe an orthografischen und syntaktischen Fehlern auf. Er verwechselt oft /t/ und /d/; ein Beispiel hierfür ist „teutsch“ („deutsch“), „monad“ („Monat“) und „deil“ („Teil“). Auch die Grapheme /g/ und /k/ vertauscht er beliebig („grankheit“ statt Krankheit, „bekraben“ statt begraben). Weiters vergisst er oft Doppekonsonaten („himel“, „pfarer“, „müsen“, usw.). Auch das Dehnungs-h scheint im nicht bekannt zu sein. Auffällig ist, das Christoph Lenz in einem Brief dasselbe Wort verschieden schreibt. So schreibt der „Brief“ einmal als „Birf“ und einmal als „Brif“. Weiters verwendet Lenz außer den ein oder anderen gelegentlichen Punkt keine Interpunktion. Insgesamt kann also gesagt werden, dass Orthographie, Grammatik und Interpunktion in den Texten völlig willkürlich sich. Die Sprache des Briefes ist stark vom Dialekt und Mündlichkeit geprägt und entspricht nicht einer Standardsprache.

Ein anderer Unterpunkt des elaborierten Codes, welcher auf Lenz nicht zutrifft, ist eine „logische, argumentative Struktur“.Christian Lenz greift in seinen Briefen oft mehrere verschiedene Themen auf. Zwischen diesen springt er ruckartig hin und her, ein semantischer Zusammenhang beziehungsweise ein logischer Zusammenhang ist oftmals nicht gegeben. Seinen Briefen fehlt eine logisch nachvollziehbare Struktur. Auch das "Passiv", welches ein Hinweis auf den elaborierten Stil wäre, wird nicht verwendet.